Berlin im April 2024

von Michael Müller

 

Berliner Stadtpläne und Berliner Geschichte

Ein illustrierter Überblick über die Berliner Stadtplansammlung

Stadtgründung

Die Entstehungszeit Berlins ist nicht bekannt. Das heutige Berlin geht zurück auf zwei mittelalterliche Siedlungen, Berlin und Cölln.  Obwohl die Gemeinwesen voneinander unabhängig waren, unterhielten sie doch enge Beziehungen zueinander.  Cölln ist erstmals 1237 mittelbar urkundlich nachweisbar. In der im Jahr 1238 abgefassten Urkunde über einen Vertragsschluss vom 28. Oktober 1237 zwischen den Markgrafen zu Brandenburg und dem Bischof von Brandenburg über die Festsetzung des Kirchenzehnts wurde Symeon, Pfarrer zu Cölln (Symeon plebanus de Colonia) als Zeuge erwähnt. Die erste Erwähnung Berlins folgte 1244 mit der Nennung vermutlich desselben Symeon, der nun aber Propst von Berlin (dominus Symeon de Berlin prepositus) genannt wurde. Aus peripheren Urkunden lässt sich schließen, dass Berlin und Cölln um 1230 Stadtrecht erhalten haben. Das lässt vermuten, dass die Entstehungszeit der beiden Ansiedlung deutlich früher liegt. Zwischen der ersten Ansiedlung und der Entwicklung kirchlicher und bürgerlicher Organisationsstrukturen dürfte einige Zeit vergangen sein. Vermutlich, dies legen dendrochronologische Untersuchungen von Bohlen aus mittelalterlichen Kellern auf der Cöllnischen Spreeseite (Breite Straße, Petriplatz) und Radiokarbondatierungen von menschlichen Gebeinen an Toten vom ehemaligen Petri-Kirchhof und aus der Berliner Nikolaikirche nahe, entwickelten sich Berlin und Cölln bereits seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Für eine Eichenholzbohle aus der Cöllnischen Lateinschule neben der  Petrikirche konnte ein Fälldatum von 1192 ermittelt werden.

Stadtentwicklung

Stadtpläne aus dieser Zeit gibt es nicht. Später wurde aber verschiedentlich versucht, fiktive Stadtpläne, Vogelschauansichten oder Atlanten der Doppelstadt Berlin/Cölln seit dem Mittelalter zu entwerfen. Das älteste mir bekannte Beispiel dafür ist der „Historische Atlas von Berlin in VI Grundrissen nach gleichem Maasstabe; von 1415 bis 1800“, gezeichnet von J. M. F. Schmidt, herausgegeben 1835 bei Simon Schropp & Comp.

Auch Karl Friedrich Klöden (1786 - 1856), Gelehrter und Direktor der städtischen Gewerbeschule zu Berlin, hat seinem 1839 erschienenen  Werk "Ueber die Entstehung, das Alter, und die früheste Geschichte der Städte Berlin und Kölln - Ein Beitrag zur Geschichte der Germanisirung slavischer Gegenden" fünf von ihm entworfene Pläne zur mittelalterlichen Entwicklung Berlins und eine Karte des Havel- und Spree-Landes für die Zeit zwischen 1150 und 1250 beigefügt. Besonders sein "Plan von Berlin und Kölln für die Jahre 1250 bis 1270" begegnet uns immer wieder einmal in Publikationen zur Berliner Geschichte. Dabei sind alle Pläne in diesem Buch "Erfindungen", die - auch wenn Klöden beteuert, es handele sich nicht um bloße Phantasiegebilde - nicht auf geologischen oder archäologischen Befunden, auf Vermessungen oder auf mittelalterlichen Vorlagen beruhen. Er hat, wie andere vor oder nach ihm, versucht, das Aussehen und die Entwicklung der mittelalterlichen Doppelstadt Berlin/Cölln zu rekonstruieren. Dabei hat er sich offensichtlich des Memhard-Plans von 1652 bedient und ihn aufgrund von Informationen, die er uns nicht verrät, "zurückgerechnet".

Deshalb wird man nicht umhinkommen, doch die Phantasie als treibende Kraft der Klödenschen Planentwürfe zu bemühen. Wissenschaftlich ist er längst widerlegt.

Beliebt waren solche Darstellungen auch zur 700-Jahrfeier Berlins im Jahr 1937. Hier ist die Broschüre „Die Reichshauptstadt“ besonders zu erwähnen, ein kleiner historischer Atlas, der die Entwicklung Berlins von 1600 bis 1920 in acht Blättern nachzeichnet. Grundlage ist ein auf Papier gedruckter Plan, der Berlin um 1600 zeigt. Sechs folgende Blätter mit den Entwicklungsschritten 1700, 1740, 1786,1804, 1820 und nach 1860 sind auf transparente Folie gedruckt und lassen sich passgenau über die jeweils ältere Folie legen, so dass nach und nach die Entwicklung und Erweiterung der Stadt erkennbar wird (Wer noch Tageslichtprojektoren, also Overheadprojektoren oder Polylux kennt, weiß was gemeint ist). Das letzte Blatt (1920), ein Ausschnitt aus einem Pharus-Plan, ist wegen seiner Abmessung extra beigelegt. Herausgeber war „Die Reichshauptstadt“, der Begleittext mit historischen Erläuterungen zu den Blättern stammt von Dr. H. Jahn-Steglitz.
Um 1980 brachte die Berliner Morgenpost unter dem Titel "Die Geschichte Berlins" zwei Bildmappen mit gezeichneten historischen Stadtansichten von Berlin aus dem Zeitraum von 1180 bis 1780 und 1800 bis 1979 heraus. Die Ansichten stammen von dem Zeichner Werner Kruse (verstorben 1994), der wohl besser bekannt ist unter seinem Künstlernamen Robinson. Sie werden ergänzt durch eine Übersicht historischer Daten und Ereignisse, sodass die Bildmappen einen anschaulichen und informativen Überblick der Berliner Geschichte bis 1979 bieten. Die mittelalterlichen Stadtansichten sind allerdings  phantasievolle „Rückrechnungen“ jüngerer Pläne.

Als Orte werden Berlin und Cölln seit Anfang des 16. Jahrhunderts auf Landkarten verzeichnet. Diese Darstellungen enthalten aber keine Details sondern bestenfalls kleine stilisierte Ansichten, wenn es nicht nur Punkte oder Kreise sind.

Die barocke Festung des Großen Kurfürsten

Memhardt-Plan

Der älteste Stadtplan von Berlin stammt aus dem Jahr 1652. Er wurde von dem Festungsbaumeister und Ingenieur Johan Gregor Memhardt entworfen und erschien in Martin Zeillers Topographie von Brandenburg. Der Plan zeigt sehr schematisch noch das mittelalterliche Stadtbild mit Stadtmauer und Doppelgraben. Es fällt auf, dass Memhard der Stadtmauer und der davor liegenden Umgebung deutlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet hat, als dem eigentlichen Stadtkern. Kurfürst Friedrich Wilhelm, der spätere Große Kurfürst, hatte ihn 1650 mit dem Bau neuer Befestigungsanlagen für die Doppelstadt beauftragt und vermutlich wurde der „Grundriß“ im Zuge der Bauplanungen erstellt. 1658, also wenige Jahre nach Erscheinen dieses Plans, begann unter der Leitung Memhards der Bau der sternförmigen Festungsanlage nach niederländischem System. Von 1658 bis 1683 musste auf Anordnung des Kurfürsten Friedrich Wilhelm („Großer Kurfürst“, 1620 – 1688) täglich bis zu ein Viertel der Einwohner Schanzarbeiten leisten. So könnten täglich 700 bis 1000 Arbeitskräfte über 25 Jahre damit beschäftigt gewesen sein, dieses riesige Bauwerk zu errichten.

Plan von La Vigne

Der Plan von La Vigne aus dem Jahr 1685 zeigt die kurfürstliche Residenz schon mit dem 1683 abgeschlossenen Festungswerk.
La Vigne hat seinen Plan zwei Jahre nach Beendigung der Arbeiten an dem Festungswall angefertigt. Der Plan zeigt die neue, sternförmige Festung in ihrem weiteren Umland, das im Westen bis zum heutigen Charlottenburg reicht. Größe und Aufmachung lassen vermuten, dass es sich um eine Arbeit in kurfürstlichem Auftrag handelt.

Der sogenannte Schultz Plan, gefertigt von dem kurfürstlichen Stempelschneider und Ingenieur, Münzmeister und Kupferstecher Johann Bernhard Schultz, erschien in der ersten Version im Todesjahr des Großen Kurfürsten (1688), in einer weiteren Version (1695) und in etlichen verkleinerten Kopien. Aus der Vogelschau zeigt der Plan die nunmehr vier kurfürstlichen Residenzstädte Berlin, Cölln an der Spree, Friedrichswerder und Dorotheenstadt mit mächtigen Festungswällen und breiten Wassergräben. Schultz bediente sich eines optischen Projektionsverfahrens, das eine genaue perspektivische Darstellung der Städte ermöglichte.
Der Detailreichtum des Plans vermittelt ein anschauliches Bild der kurfürstlichen Residenz in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und macht ihn auch heute noch zu einem wertvollen Dokument zur Stadtgeschichte.
Vermutlich hat Schultz den Plan im Auftrag des Großen Kurfürsten geschaffen. Die repräsentative Art der Darstellung sollte die Größe und Bedeutung der kurfürstlichen Residenz kundtun, die unter seiner Regentschaft die Folgen des Dreißigjährigen Krieges überwunden und eine neue Blüte erreicht hatte.

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Am 18.1.1701 krönte sich Kurfürst Friedrich III. in Königsberg zum König Friedrich I. in Preußen. Berlin wurde damit königlich preußische Residenzstadt. Die linke Titelkartusche auf dem Vogelschauplan von Stridbeck, einer exakten verkleinerten Kopie des Schultzschen Vogelschauplans in der Version von 1695, lautet:“ Die Churfürstlich Brandenburgisch nun Königlich Preussische Residenz Statt“. Damit wird deutlich, dass diese Kopie nach der Krönung im Jahr 1701 angefertigt wurde.

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Die in den Folgejahren erschienenen Pläne können allesamt als Festungspläne bezeichnet werden. Die Kartierung der Stadt diente also vornehmlich repräsentativen, vielleicht auch militärischen Interessen und zur Abschreckung möglicher Feinde. Orientierungshilfen für Einwohner und Besucher waren diese Pläne nicht und sollten es auch nicht sein.

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Der 1723 und noch einmal aktualisiert 1737 erschienene sogenannte Dusableau Plan zeigt Berlin als königliche Residenzstadt. Der Plan legt optisch immer noch großes Gewicht auf die Befestigungswerke, die ihren militärischen Wert zu diesem Zeitpunkt allerdings schon verloren hatten. In einem recht umfangreichen Verzeichnis weist der Plan Straßen, Kirchen, Tore und Brücken nach. In der späteren Version ist die neu angelegte Friedrichstadt mit den um 1734 geschaffenen Plätzen Quarre Marckt, Achteck Marckt Platz und Rondel Markt (heute Pariser Platz, Leipziger Platz und Mehringplatz) ebenso erfasst, wie der südliche Teil der Akzise- (Zoll-) mauer. Diese Mauer hatte keine Verteidigungsfunktion mehr, sondern sollte an ihren Toren die Besteuerung eingeführter Waren ermöglichen und Soldaten der Berliner Garnison an der Desertion hindern.

Obwohl in Details durchaus fehlerbehaftet, bildete der Dusableau Plan die Grundlage für eine Reihe von Nachstichen, die teilweise inhaltlich und in der Ausstattung deutlich verbessert waren. Hierzu gehören Pläne der Augsburger Verleger Matthäus Seutter und Tobias Conrad Lotter und die sogenannten Waltherschen Pläne oder die Schleuen Pläne, deren Thema eher die prosperierende Stadt unter der glücklichen Regentschaft des Königs, die magnifiquen Gebäude und Kirchen und ein Überblick über die prächtige Residenzstadt waren. In der Regel waren diese Pläne am Rand mit Ansichten bedeutender Gebäude und mit Veduten der Stadt versehen. Das dekorative Element stand hier deutlich im Vordergrund. Exakte Kopien der Pläne von Walther, deren Besonderheit gegenüber denen von Dusableau die plastische, dreidimensionale Darstellung von Gebäuden war, wurden von Homanns Erben in Nürnberg herausgegeben.

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Das Berlin Friedrichs des Großen

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Unter der Regentschaft Friedrichs des Großen (von 1740 bis 1786) wurde 1748 der Plan de la Ville de Berlin, der sogenannte Schmettau-Plan, fertiggestellt. Im Auftrag des Königs wurde die Stadt unter Leitung des Feldmarschalls Samuel Reichsgraf v. Schmettau neu vermessen und der Plan auf vier Platten in Kupfer gestochen. Wegen des großen Maßstabs, der Plan misst im Ganzen 117 cm auf 166 cm, konnten auf eine Legende verzichtet und über 400 Objekte direkt im Plan beschriftet werden. Dieser Plan ist zuverlässiger und genauer als alle zuvor erschienenen und dokumentiert den Zustand der Stadt im Jahr 1748. Grundsätzlich lehnte Friedrich II eine Veröffentlichung von Karten seiner Länder ab. Sie sollten nicht potentiellen Feinden in die Hände fallen. Den Plan seiner Hauptstadt hielt er indessen nicht geheim. Vermutlich hat er diesem großmaßstäbigen Plan keine strategische Bedeutung beigemessen. Auch hatte bei Erscheinen des Plans die Entfestigung der Stadt bereits begonnen. Die Festungsanlagen waren militärisch bereits lange überholt.

Wie nicht anders zu erwarten, bildete auch der "Schmettau" bis Anfang des 19. Jahrhunderts die Grundlage für eine Reihe von verkleinerten Kopien. Hierzu zählen neben Plänen von Johann David Schleuen auch solche von von J. C. Rhode, de la Grive, J. Stockdale, D. F. Sotzmann und K. L. v. Oesfeld.

Es ist zu vermuten, dass Schleuen bereits bei der Aktualisierung seines Plans im Jahr 1747 (Dritter großer Schleuenplan) die Meßdaten Schmettaus kannte und berücksichtigte. Einer der Stecher des Schmettau-Plans erhob sogar Plagiatsvorwürfe gegen Schleuen. In seinem 1757 erschienenen Vierten und im Fünften großen Plan von 1773 nimmt Schleuen jedenfalls in der Titelkartusche ausdrücklich auf Schmettau Bezug: "Nach dem Plan des Weil: Königl. Feld=Zeugmeisters, Herrn v. Schmettau, aufs accurateste in diesem bequemen Format gebracht, die seitdem geschehenen Veränderungen aufs fleissigste angemercket, u. mit den Prospecten der vornehmsten Gebäuden ausgezieret." Schleuens Pläne kombinieren einen Grundriß der Stadt mit perspektivisch (ähnlich einer Vogelperspektive) gezeichneten Gebäuden. Randansichten zeigen bedeutende Gebäude und Denkmäler. Schleuens Vierter und Fünfter großer Plans markieren das Ende der künstlerisch dekorativen Gestaltung von Stadtplänen im Stil des Barock/Rokoko.

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Der Fünfte große Schleuenplan von 1773 zeigt die innere Stadt entfestigt, vom Festungswerk des Großen Kurfürsten sind nur noch die - teilweise schon begradigten - Wassergräben erhalten geblieben. Die Stadt ist nun komplett und weiträumig von der Zoll- oder Akzisemauer mit ihren 14 Toren umgeben. Teilweise handelte es sich tatsächlich um eine Mauer, teilweise (im nördlichen Verlauf) um einen "Zaun" aus Holzpalisaden, an den noch der Straßenname Palisadenstraße im heutigen Bezirk Mitte erinnert. Auch die Tore in der Akzisemauer leben in heutigen Straßen-, Platz- oder Bahnhofsnamen fort: Schlesisches, Hallisches und Kottbuser Tor, Brandenburger Tor, aber auch die Oberbaumbrücke, an deren Stelle sich der flussaufwärts gelegene Spreezugang in die Stadt befand.

Die neue Sachlichkeit

Der Beginn des Klassizismus in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beeinflusste auch die Kartendarstellung. Die Blätter kamen nun ohne verspielten Zierrat aus, die topografische Information trat in den Vordergrund.
Damit einhergehend, änderte sich die Blickrichtung des Betrachters: Bisher waren die Stadtpläne überwiegend nach Süden ausgerichtet ("gesüdet"), der obere Blattrand lag in südlicher Richtung. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts änderte sich diese Ausrichtung. Das Kartenbild wurde um 180 Grad gedreht und Norden lag nun oben. Spätestens ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Kartenausrichtung nach Norden gängige Konvention, die unser heutiges Kartenverständnis allgemein prägt.

Die Pläne von Schneider aus den Jahren 1798 und 1802 zeigen Berlin und die nähere Umgebung. Der Plan von 1802 war wegen seiner Genauigkeit und guten Lesbarkeit lange Jahre auch Planungsgrundlage für Behörden.

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Der Grundriss von Berlin von J. C. Selter aus dem Jahr 1811 verzichtet auf Dekorationen und stellt die Stadt in einem präzisen und ästhetisch ansprechenden Kartenbild dar. Sogar Hausnummern (die in Berlin erst seit 1799 eingeführt wurden) und Grundstücksgrenzen sind verzeichnet. Das Werk war die Grundlage für eine rund 50 Jahre währende Serie.

Stadtpläne werden zur Massenware

Mehrere Faktoren bewirkten seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts einen stetigen Zuwachs und eine zunehmende Verfügbarkeit von Stadtplänen.


Auf der einen Seite stieg der Bedarf nach Orientierung und Übersicht über die Stadt stetig an. Infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Ende der Befreiungskriege und infolge der beginnenden Industrialisierung wuchs die Stadtbevölkerung rapide. Von 1816 bis 1846 verdoppelte sich die Einwohnerzahl von 195.590 auf 396.535. Bis 1900 sollten es fast 2 Millionen Einwohner werden. Das Stadtgebiet hatte um 1825 eine Fläche von etwa 14 km², um 1900 waren es über 60 km². Die Stadt veränderte sich rasant, wurde zur Metropole, zum Industriestandort, aber auch zum Brennpunkt sozialer Probleme. Infrastrukturen wie das Verkehrssystem wurden immer unübersichtlicher, der städtische Raum entzog sich einer zusammenhängenden visuellen Wahrnehmung.  Abhilfe boten Pläne und Ansichten, die den Betrachter aus dem Gewirr der Stadt heraushoben, ihm aus erhöhter Perspektive eine umfassende Draufsicht auf die Stadt ermöglichten und räumliche Zusammenhänge wieder erfassbar machten. Stadtpläne und Vogelschauansichten konnten auf dem Papier einen Überblick vermitteln, der in der Realität verloren war.

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Auf der anderen Seite machten neue, preiswertere Druckverfahren dem teuren Kupferstich Konkurrenz. Alois Senefelder entwickelte Ende des 18. Jahrhunderts die Lithografie. Diese vereinfachte die Herstellung der Druckvorlagen und reduzierte so die Kosten. Anfang des 19. Jahrhunderts war dieses Druckverfahren so ausgereift, dass dem Preußischen Generalstab im Jahr 1817 ein Königlich Preussisches Lithographisches Institut angeschlossen wurde.
In diesem Institut wurden der Grundriss von Berlin von 1835 und  der Plan von "Berlin und Charlottenburg mit nächster Umgebung" von 1857 gedruckt, der von der "topographischen Abtheilung des Königl. Preuss. Grossen Generalstabs" aufgenommen und herausgegeben wurde.

Im Jahr 1838 wurde die „Stammbahn“ zwischen Berlin und Potsdam als erste Eisenbahnstrecke in Preußen eröffnet. Das Eisenbahnwesen entwickelte sich rasch weiter und ab der Mitte des 19. Jahrhunderts begann, was wir heute als Tourismus bezeichnen. Parallel zu den neuen Reisemöglichkeiten durch die Bahn entstand ein Stadtplanangebot für Fremde, die die Stadt besuchten und Anleitung und Orientierung brauchten. Diese Pläne waren zum Teil Beilagen zu den um diese Zeit ebenfalls aufkommenden Reiseführern. Sogenannte „Droschken-Wegemesser“ ermöglichten es, den korrekten Fahrpreis für Droschkenfahrten aus dem Plan zu ermitteln.

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Pläne der Stadt für die Verwaltung der Stadt

Neben eher kleinformatigen und handlichen Plänen für den Gebrauch unterwegs erschienen weiterhin große Blätter, zum Beispiel in der Schroppschen Landkartenhandlung oder im Verlag Dietrich Reimer, die auch Planungs- und Verwaltungszwecken dienten. Der Hobrechtsche Bebauungsplan von 1862 erschien in beiden Verlagen als Übersicht. In der zweiten Hälfte des 19ten Jahrhunderts übernahm das 1858 gegründete „Geographische Institut und Landkartenverlag Julius Straube“ zunehmend die Funktion eines halboffiziellen Landkartenverlags der Berliner Stadtverwaltung. Straube-Pläne boten oft die topografische Grundlage, die mit speziellen thematischen Informationen überdruckt wurde: Radfahrstrecken, Straßenbahnen, Verkehrsplanungen, Krankenhäuser, Arten der Straßenbeleuchtung und vieles mehr.

Ein Mammutwerk war die 1876 begonnene Neuvermessung der Stadt, die in dem Übersichtsplan von Berlin 1 : 4.000 vom Geographischen Institut und Landkartenverlag Julius Straube ihren Niederschlag fand. Die 44 Blätter nebst Netzplan mit dem Blattschnitt erschienen - teilweise in mehreren Ausgaben - zwischen 1894 und 1910. Sie zeichnen sich durch Übersichtlichkeit und Informationsgehalt aus: Grundstücksgrenzen und Gebäudeumrisse sind ebenso wiedergegeben, wie "Staats- und Städtische Gebäude" und "Private Anstalten, Theater u.s.w.". Heute findet man das Kartenwerk bei HistoMapBerlin.

Neben Straube begannen auch andere Landkartenverlage ihre umfangreiche Tätigkeit: Der Verlag von Alexius Kiessling (etwa ab 1870), der Pharus-Verlag (etwa ab 1900), der Verlag für heimatliche Kultur Willy Holz (Silva) (etwa ab 1910).

Berlin wird Weltstadt

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1861 wurde das Berliner Stadtgebiet durch Eingemeindungen um fast 70 % vergrößert. Es kamen Flächen von Schöneberg, Tempelhof, Charlottenburg, Moabit, Wedding und des Tegeler Forsts zu Berlin. Berlin war auf dem Weg zur Weltstadt und verglich sich mit Wien, Paris oder London. Nach der Reichsgründung 1871 wurde es Reichshauptstadt. Die Bedeutung und Größe der Stadt wurde dem Publikum – wie schon im ausgehenden 17. Jahrhundert – durch eine Reihe von Vogelschauplänen nahegebracht. Aus verschiedenen Perspektiven wird die bauliche Pracht der Stadt gezeigt, rauchende Dampfer, Lokomotiven und Schlote sind aber auch ein Symbol für die wirtschaftliche Prosperität. Schöne Beispiele aus meiner Sammlung sind das "Panorama der deutschen Kaiserstadt" von 1887 und "Berlin aus der Vogelschau" von 1899. Sogenannte Monumentalpläne hoben die bedeutsamen Gebäude besonders hervor und waren insoweit manchen Plänen aus dem 18. Jahrhundert durchaus ähnlich.

Durch das Groß-Berlin-Gesetz vom 25. April 1920, das am 1. Oktober 1920 in Kraft trat, wurden in die bisherige Stadtgemeinde Berlin die sechs kreisfreien Städte Berlin-Lichtenberg, Berlin-Schöneberg, Berlin-Wilmersdorf, Charlottenburg, Neukölln und Spandau sowie aus den umliegenden Kreisen Niederbarnim, Osthavelland und Teltow die Stadtgemeinde Cöpenick, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke eingemeindet. Das Stadtgebiet vergrößerte sich von 66 km² auf 878 km². Die Einwohnerzahl verdoppelte sich von 1,9 Millionen auf 3,8 Millionen Einwohner. Damit war Berlin – nach Los Angeles – die flächenmäßig zweitgrößte und an der Einwohnerzahl gemessen – nach London (7,3 Millionen) und New York (5,6 Millionen) – die drittgrößte Stadt der Welt.

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Wer steckt Berlin in die Tasche?

Für die Kartenverlage und die Kartografen erzeugte dieser rapide Flächenzuwachs des Stadtgebiets das Problem, wie man die gesamte Stadt in einer handlichen, für die Orientierung unterwegs geeigneten Form darstellen könnte. Natürlich gab es weiterhin Pläne, die auf einem großen Blatt gedruckt waren und die einen guten Überblick boten. Ein Quadratmeter Papier war aber nicht das, was der Benutzer ausbreiten wollte, wenn er bei Wind und Wetter in der Stadt unterwegs war. Die Lösung waren Stadtatlanten, die das Stadtgebiet auf vielen kleinen und handlichen Ausschnitten (Kacheln) darstellen.

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Mit ihrer Serie "Berlin in der Tasche", die ab 1925 bis in die späten 1970er Jahre erschien, hat die Berliner Morgenpost einen äußerst erfolgreichen Stadtatlas geschaffen, der auch als Modell für weitere Stadtatlanten bis hin zu dem noch heute verfügbaren "Knick mich Berlin" Stadtatlas angesehen werden kann.

Kleiner Exkurs: Ein Kuriosum ist der im VEB Landkartenverlag ab Ende der 1950er in mehreren Auflagen erschienene, an „Berlin in der Tasche“ angelehnte „Buchplan von Groß-Berlin“ bzw. „Buchplan Berlin Hauptstadt der DDR“. Schon die Namensänderung spiegelt die dramatischen Änderungen durch Mauerbau und Teilung der Stadt im August 1961 wieder. Noch deutlicher werden diese Änderungen im Kartenteil: umfasste dieser vor dem Mauerbau noch 48 Blatt, waren es danach nur noch 24. Der Plan wurde zum Leichtgewicht: von 290 Gramm speckte er auf 160 Gramm ab. Gegenstand der Darstellung war nun nicht mehr das Stadtgebiet von Groß-Berlin, sondern nur noch das Gebiet des sowjetischen Sektors, der zur Hauptstadt der DDR mutiert war. Der Rest der Stadt wurde jetzt als infrastrukturlose, beige Farbfläche dargestellt und als „WB“ oder „Westberlin“ bezeichnet, eine Praxis, die sich bis zur Wende fortsetzte.

Eine ebenso handliche Alternative zu Stadtatlanten waren Pläne mit besonderer Faltung, wie z.B. aus dem Voege-Verlag in den 1920er Jahren oder – viel später – die sog. Falk-Pläne. Sie ermöglichen es, nur den gerade benötigten Planausschnitt aufzuklappen. Dadurch sind diese Pläne im Gebrauch ähnlich kompakt wie Stadtatlanten, lassen sich bei Bedarf aber auch zu voller Größe auffalten. Der Voege-Verlag warnt allerdings davor: „Wichtig! Den Plan nie ganz auseinandermachen, sondern stets auf den Teil umlegen, wo man etwas sucht.“, damit „…die Pläne, wenn man sie nach rückwärts zusammenfalzt, auch bei Wind und Wetter bequem auf der Straße zu handhaben sind.“ Ich besitze mehrere Exemplare dieser Pläne, die ich alle nicht mehr in der Originalfaltung erworben habe, und es ist mir erst nach langem Probieren gelungen, diese Faltung zu rekonstruieren. Die Warnung hatte ihren Grund…

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Der Nationalsozialismus hinterlässt Spuren

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Die nationalsozialistische Machtergreifung hinterlässt auch auf Stadtplänen sehr schnell ihre Spuren. Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Am 21. April 1933 wurde der Reichskanzlerplatz (heute Theodor-Heuss-Platz) in Adolf-Hitler-Platz umbenannt und bereits im Mai 1933 tauchte der neue Name auf einem Liniennetzplan der Berliner Verkehrs-A.-G. auf. Stadtplanverlage wie Westermann, Pharus oder Silva waren ähnlich schnell. Auch die 1933 erfolgte Umbenennung der Friedrich-Ebert-Straße in Herrmann-Göring-Straße wurde ebenso in Stadtplänen abgebildet, wie die Umbenennung des Bezirks Friedrichshain in Horst-Wessel(-Stadt) ab September 1933.

Die Darstellung kartografischer Inhalte war zunächst unbeeinflusst. Industrie- und Bahnanlagen, Elektrizitäts-, Gas- und Wasserwerke sowie andere städtische Infrastrukturen blieben auf den Plänen verzeichnet.

Die Olympischen Spiele vom 1. bis 16. August 1936 in Berlin boten den nationalsozialistischen Machthabern eine willkommene Gelegenheit, Berlin der Weltöffentlichkeit als offene, dem Fremdenverkehr zugewandte und moderne Metropole zu präsentieren. Ab 1935 erschienen neben der „Amtlichen Karte zu den Olympischen Spielen in Berlin 1936“, herausgegeben vom Reichsamt für Landesaufnahme, eine Reihe von Stadtplänen, Plänen und Führern, die den Besuchern mit Kartenausschnitten und Detailansichten der Wettkampfstätten die Orientierung erleichtern sollen.

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Die 700-Jahrfeier Berlins 1937 wurde ebenfalls propagandistisch genutzt. Zahlreiche Publikationen – Bildbände, Sammelmappen, Chroniken und eben auch das schon erwähnte Bändchen „Die Reichshauptstadt“, brachten den Lesern die Geschichte Berlins nahe. Während die historischen Entwicklungen dem seinerzeitigen Erkenntnisstand entsprechend sachlich dargestellt wurden, enthalten diese Publikationen in Vor- oder Nachworten regelmäßig mehr oder weniger enthusiastische Huldigungen an den Führer und die "Errungenschaften" des Nationalsozialismus. Den Textteil zu diesem Bändchen finden Sie hier.

Ab 1939 tauchen der Spree-Durchstich am Königsplatz und die Nord-Süd-Achse der Speerschen Umbauplanungen für Berlin auf manchen Stadtplänen als „projektiert“, künftig oder „im Bau“ auf. Ungefähr zur gleichen Zeit wird die Darstellung von kriegsbedeutsamen Anlagen und Infrastrukturen immer schematischer und spärlicher. Am Ende zeigen ein Silva-Plan von 1942 oder ein Pharus-Plan von 1944 keine Industrie, keine Versorgungsanlagen und keine Güterbahnhöfe mehr. Dafür verschweigen sie aber auch die Zerstörungen. Das Stadtbild scheint vom Bombenkrieg völlig unbeeinträchtigt zu sein. Kaum vorstellbar, dass die Nutzer solcher Pläne das nicht für blanken Zynismus gehalten haben.

Kriegskarten

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Diese Art der Kartenverfälschung dürfte aus militärischer Sicht relativ wirkungslos gewesen sein. Die alliierten Mächte hatten sich schon vor dem Krieg mit topografischen Informationen versorgt und diese dann während des Krieges und des Vormarschs ständig aktualisiert. Dabei wurden, wie auf dem Town Plan of Berlin ausdrücklich vermerkt, Luftbilder ausgewertet, vermutlich aber auch nachrichtendienstliche Quellen. Außerdem unterhielten die britischen und amerikanischen Truppen spezielle topografische Einheiten, deren Aufgabe die Beschaffung oder Herstellung und die Verteilung aktuellen Kartenmaterials war. Dabei bediente man sich auch deutscher Karten, die im Zuge des Vormarschs – z.B. in Vermessungsämtern - erbeutet wurden.

Viermächte-Status auf Berlin-Plänen

Bereits 1946 erschienen wieder Stadtpläne aus Berliner Verlagen. Hier sind nun die Grenzen der Besatzungszonen, d.h. die Sektorengrenzen und die (geplanten) Straßenumbenennungen hervorgehoben. Schropp's Grosser Berliner Verkehrsplan von 1947 zeigt das erstaunlich intakt wirkende ÖPNV-Netz und gibt Fahrhinweise: "Infolge der Stromeinschränkung fahren z.Zt. einige Linien vorübergehend verkürzt." Nach wie vor zeigte sich das Stadtbild auf den meisten dieser Pläne zerstörungsfrei. Ausnahmen bilden z.B. ein Plan aus dem Falk-Verlag von 1948,  (dieser Plan ist, ähnlich der aktuellen Falk-Pläne, patentgefaltet) und die ersten Nachkriegsausgaben des Stadtatlasses "Berlin in der Tasche" die nach bebauten Flächen, teilzerstörten Gebäuden und totalzerstörten Gebäuden differenzieren.

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Die politischen Entwicklungen mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Mai 1949 und der Deutschen Demokratischen Republik im Oktober 1949 ließen den Viermächte-Status von Berlin und den freien Personenverkehr innerhalb der Stadt völkerrechtlich unberührt. Dies bildet Schaffmanns Karte der Deutschen Demokratischen Republik von 1953, immerhin vom Ministerium des Innern der DDR genehmigt, zutreffend ab: Um Groß-Berlin herum, also um alle vier Sektoren, legt sich ein violett schraffiertes Grenzband, bei dem es sich laut Legende um eine "Landesgrenze" handelt. In gleicher Weise ist auch die Grenze zur Bundesrepublik Deutschland markiert, während die nach Polen in breiterer Schraffur als Staatsgrenze erscheint.

 

Spätere Ausgaben der Karte der Deutschen Demokratischen Republik (so von 1963) zogen nur um West-Berlin das Band einer Staatsgrenze, während das "Demokratische Berlin", also Ost-Berlin, als Teil der DDR dargestellt und nur von einer Bezirksgrenze umgeben wurde.

De facto wurde Berlin von Seiten der DDR in einen West- und einen Ostteil aufgeteilt, wobei letzterer dem sowjetischen Sektor entsprach. Dieser firmierte auf den im Ostteil der Stadt hergestellten Stadtplänen fortan als „Demokratischer Sektor“ oder „Demokratisches Berlin“, später als “Berlin, Hauptstadt der DDR“. Dem stand auf manchen Plänen „Westberlin“ gegenüber, das z.B. auf dem Taschenplan von Berlin, erschienen um 1960 im VEB Landkartenverlag, in der Zeichenerklärung als  „Bereich des Besatzungsregimes der USA, Großbritanniens u. Frankreichs“ umschrieben wird.

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Ab Beginn der 1950er Jahre wurden die bis dahin privaten Verlage im Ostteil Berlins unter Druck gesetzt, volkseigene Betriebe (VEB) zu werden. Die Verleger reagierten darauf teilweise mit Übersiedlung nach West-Berlin und Neugründung ihrer Verlage, so 1953 der Verleger Kurt Schaffmann (Schaffmann & Kluge) und 1954 der Verleger Heinrich Möller (Pharus Verlag). Die Verlage im Ostteil wurden zunächst unter treuhänderische Verwaltung gestellt und gingen später im VEB Landkartenverlag auf.
Zunächst führte der VEB Landkartenverlag die Kartografie von Kurt Schaffmann fort. Die Pläne bildeten das Stadtgebiet in allen Sektoren ohne Unterschiede in der Darstellung ab. Das änderte sich dann ab 1961 schlagartig.

Am 13. August 1961 begann, zunächst mit der Errichtung provisorischer Absperrungen, der Bau der Berliner Mauer. Straßen wurden aufgerissen, Stacheldrahtverhaue und Panzersperren errichtet. In den nächsten Wochen wurden die Stacheldrahtverhaue zwischen West- und Ost-Berlin durch eine Mauer aus Hohlblocksteinen und Betonplatten ersetzt. Bis zur Wende sollte es dann noch mehrere technische „Verbesserungen“ der innerstädtischen Grenzanlagen geben. Ungeachtet des fortbestehenden Viermächtestatus war damit der freie Personenverkehr innerhalb der Stadt endgültig abgeschnitten und Ost-Berlin wurde von östlicher Seite als integraler Bestandteil der DDR behandelt. Nach dortiger Propaganda existierte kein "Gesamtberlin", die DDR-Hauptstadt Berlin repräsentiere das historisch gewachsene Berlin und die auf "dem Territorium Westberlins" liegenden Stadtbezirke seien aus der historisch gewachsenen Hauptstadt wieder ausgegliedert worden.

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Viele Bürger West-Deutschlands hatten wohl nur eine vage Vorstellung von der besonderen politischen und räumlichen Lage West-Berlins mit seinen beschränkten Zugangswegen. Der Berliner Senat versuchte, hier Aufklärung zu schaffen, unter anderem mit einem Sonderdruck einer Karte, die die West-Berliner Verhältnisse besonders hervorhob.

Schon vor dem Mauerbau war das unmittelbare Umland für die Einwohner West-Berlins praktisch unerreichbar. Eine besonders große Bedeutung als Naherholungsgebiete hatten deshalb die ausgedehnten Wald- und Wasserflächen der Stadt. Die intensive Sport- und Freizeitnutzung der Havelgewässer und der West-Berliner Waldgebiete wird auf zwei Wander- und Wassersportkarten aus dem Verlag Schaffmann & Kluge deutlich, die die Nordberliner Forsten und Gewässer und Grunewald und Havelseen zeigen.

Wer aber die Stadt für Ausflüge oder Reisen verlassen wollte, musste zunächst die Transitwege durch oder die Luftkorridore über die DDR nutzen. So entwickelten sich grenznahe Gebiete der Bundesrepublik, wie zum Beispiel die Lüneburger Heide, zu beliebten Ausflugsorten der West-Berliner.

Hic sunt Leones: Westberlin wird zur terra incognita

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Diese nach dem Mauerbau veränderte Lage machte sich auch in der Darstellung von Stadtplänen, die in Ost-Berlin / in der DDR erschienen, bemerkbar. Ab 1961 zeigten Stadtpläne von Berlin nur noch den Ostteil der Stadt (den sowjetischen Sektor), der nun „Hauptstadt der DDR (Das demokratische Berlin)“ und später „Berlin Hauptstadt der DDR“ genannt wurde. Der Blattschnitt wurde so verändert, dass möglichst wenig Flächen jenseits der Mauer abgebildet wurden, diese wurden dann auch noch durch Nebenkarten und Legende abgedeckt. Die unvermeidbar verbleibenden Ränder von West-Berlin wurden als Brache mit wenigen Straßen, aber ohne Baublöcke und weitere Infrastruktur dargestellt. Das war die Art und Weise, wie auf historischen Karten unbekanntes Gebiet („terra incognita“) dargestellt wurde.


Es gab zwei kuriose Ausnahmen: Die West-Berlin Bahnhöfe der S-Bahn, die unter Verwaltung der (Ost-)Deutschen Reichsbahn stand und das Sowjetische Ehrenmal im Tiergarten, obwohl in West-Berlin gelegen, verdiente einen Detaileintrag in der “umliegenden Brache“.

Bei den Stadtplänen des VEB Landkartenverlags und später des VEB Touristverlags fällt auf, dass sie etwa ab 1966 keine oder nur ungefähre (ca. 1 : 25.000) Maßstabsangaben tragen. Dies geht zurück auf Vorgaben aus Moskau aus dem Jahr 1963, wonach öffentlich zugängliche Karten so zu manipulieren seien, dass sie die Lage der Objekte nur ungenau darstellen. Die Pläne wurden in sich unregelmäßig verzerrt und so eine genaue Entfernungsbestimmung oder Lagebestimmung verhindert. Dieses Kartenmaterial eignete sich also weder für die Planung feindseliger Aktionen noch zur Vorbereitung von Fluchtvorhaben. Selbstverständlich wurden alle militärischen oder sonst der Geheimhaltung unterliegenden Objekte von vornherein nicht dargestellt.

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Besonders kurios wirken topographische Karten des Berliner Raums, auf denen West-Berlin als weiße Fläche, wie ausgestanzt, dargestellt wird. Allerdings werden auf allen Grenzblättern dieser Kartenserie, der sogenannten Ausgabe für die Volkswirtschaft, die jenseits der DDR-Grenze liegenden Gebiete nicht abgebildet, das gilt zum Beispiel auch für die in Polen gelegenen. Aus Sicht der DDR lag West-Berlin - und nur West-Berlin - jenseits der Staatsgrenze der DDR und aus dieser Sicht war es konsequent, dessen Stadtgebiet auszusparen.

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Selbstverständlich verfügte die DDR über hervorragendes und genaues topographisches Kartenmaterial (die manchmal so genannte Ausgabe Staat), nur unterlag dies einer strikten Geheimhaltung und war nur einem begrenztem Personenkreis zugänglich.

Zeitmaschine Stadtplan ?

Die in West-Berlin hergestellten Stadtpläne wiesen keine bewussten Manipulationen oder Verfälschungen auf. Auch wenn sie den westlichen Teil der Stadt im Fokus hatten, blendeten sie das Stadtgebiet östlich der Sektorengrenze nicht aus. Allerdings wird nicht deutlich, woher die Verlage ihre Informationen über die jeweils aktuelle Situation im Ostteil der Stadt bezogen.

Auch bei westlichen topographischen Karten gab es Kuriositäten: Auf dem 1982 herausgegebenen Blatt 3446 Berlin (Nord) der Topografischen Karte 1 : 25.000 (auch ein Grenzblatt) wird der Westteil der Stadt mit Stand 1982 dargestellt, während der Ostteil und damit auch das historische Zentrum noch auf dem Stand der Preußischen Landesaufnahme 1901, berichtigt bis 1920, ist. Die Grenze zwischen Westsektoren und Ostsektor bildet auf dieser Karte auch die Zeitgrenze zwischen 1982 und 1901. Im Westteil der Stadt sehen wir zum Beispiel das Märkische Viertel oder das Sanierungsgebiet am Gesundbrunnen. Im Ostteil der Stadt stehen noch das Schloss, der alte Mühlendamm und die Petrikirche, wir finden die Georgenkirche und das Polizeipräsidium am Alexanderplatz (die Rote Burg). Die Grunerstraße ist eine unbedeutende Nebenstraße und zerteilt noch nicht Berlins historische Mitte. Diese topografische Karte unternimmt gleichzeitig eine Zeitreise zur Jahrhundertwende und stellt nicht nur West und Ost gegenüber, sondern auch neu und alt.

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Am Ende die Wende

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Ein Stadtplan „ Zentrum Berlin“, 1989 vom VEB Tourist Verlag, herausgegeben zum Pfingsttreffen der FDJ zur 40-Jahrfeier der DDR (7. Oktober 1989) ließ natürlich nicht erahnen, was gut einen Monat später geschehen würde.

Aber im November 1989 begrüßte die Dresdner Bank Berlin Besucher aus der DDR und aus Ost-Berlin mit einem Liniennetzplan, in den ihre Zweigstellen, aber auch die inzwischen geschaffenen Übergangsstellen eingedruckt waren. Ein Begrüßungstext für die Besucher wies auf die Möglichkeit hin, dass in den Zweigstellen das sogenannte Begrüßungsgeld in Empfang genommen werden kann.
Dieses Begrüßungsgeld wurde seit 1970 jedem in die Bundesrepublik Deutschland einreisenden DDR-Bürger zunächst in Höhe von 30 DM, ab 1988 in Höhe von 100 DM gewährt. Nach Öffnung der Berliner Mauer kam es durch die unerwartet angestiegenen Besucherzahlen zu chaotischen Zuständen bei der Auszahlung, weshalb alle Banken und Sparkassen zur Auszahlung ermächtigt wurden. Es hat also - anders als der Text es vermuten lässt - nicht nur die Dresdner Bank das Begrüßungsgeld "sofort" ausgezahlt.

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1990 brachte dann der VEB Tourist Verlag einen Stadtplan „Berlin (West)“ heraus. Das war vermutlich das erste Mal, dass dieser Verlag (auf der Grundlage des ADAC Stadtplans Berlin) - dazu noch unverzerrt – das Stadtgebiet von West-Berlin darstellte.

Am Ende hat der VEB Tourist Verlag Wende, Privatisierung und Übernahme durch einen anderen Verlag nicht überstanden. 1997 wurde die Tätigkeit endgültig eingestellt. Das gleiche Schicksal traf aber auch andere, traditionelle Verlage.

Heute wird die Herstellung und Bereitstellung von Stadtplänen von digitalen Verfahren übermächtig dominiert. Die Digitalisierung scheint auf den ersten Blick nur Vorteile zu haben. Der Informationsgehalt digitaler Stadtpläne scheint herkömmlichen Plänen ebenbürtig zu sein. Wir haben nicht nur Berlin, wir haben (wenn wir es möchten) ganz Europa im Speicher unseres Smartphones. Dabei bieten digitale Pläne in Verbindung mit Navigationsanwendungen einen vorher unerreichbaren Komfort: Wir sehen nicht nur unseren genauen augenblicklichen Standort, sondern erhalten auch genaue Anweisungen, wie wir unser Ziel erreichen. Wir müssen nicht mehr vor Antritt einer Fahrt auf die Karte schauen, eine Route suchen, uns Richtungen merken, auf einer Kladde Abzweigungen vermerken, kurz: eine Strecke selbst planen. Wir vertrauen auf unser "Navi" und begeben uns in die Hand seiner Algorithmen. Das ist im täglichen Gebrauch bequem und zeitsparend, hat aber seinen Preis.
Die Schönheit der grafischen Gestaltung, das künstlerische Moment, die Handschrift der Kartographen sind bei digitalen Plänen auf der Strecke geblieben. Das Aussehen digital erzeugter Pläne ist ebenso seelenlos wie der Klang der Sprachausgabe, die uns an der nächsten Ampel rechts abbiegen lässt.
Schwerwiegender noch: wir verlieren wieder den Überblick, den uns Stadtpläne einmal versprachen. Das Navi zeigt uns auf seinem kleinen Bildschirm nur die nächsten Ecken, die wir nehmen müssen. Jenseits dieses Rahmens liegt terra incognita. Der Bildschirm vermittelt keinen Überblick, der räumliche Kontext zwischen Start und Ziel geht verloren. Uns fehlt das eingeprägte Bild der Fahrtroute auf dem Stadtplan, das wir uns früher machen mussten. Im Navi ist die Fahrtrichtung oben, egal, in welche Himmelsrichtung wir fahren.
Wehe, das Navi fällt einmal aus. Mehr als die nächsten Ecken haben wir nicht gesehen. Wir stehen plötzlich - wie schon die Menschen vor 150 Jahren - in einem Labyrinth. Wir wissen nicht, welchen Weg wir in der großen Stadt nehmen müssen… Es sei denn, wir haben noch einen Stadtplan dabei, den wir ausfalten können...